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Matthias Heitmann  Klartext

Financial Fair Play: Das unfaire Spiel der Uefa-Altmeister

Die neuen Regeln gegen die Überschuldung der europäischen Fußballvereine sind problematisch: Die Elite schottet sich gegen die Kleinen ab.


Die Uefa räumt auf im europäischen Profifußball. Erstmals hat die europäische Fußballunion wirtschaftliche Sanktionen gegen insgesamt 23 Fußballvereine wegen Verstößen gegen die neuen Regelungen des "Financial Fair Play" (FFP) erhoben - und aufgrund ausstehender Zahlungen von Steuern und Sozialbeiträgen Spielprämien einbehalten. Betroffen ist etwa der amtierende Europa-League-Sieger Atlético Madrid.


Die Uefa will die Zügel anziehen: Künftig sollen Vereine generell nur noch eine bestimmte Geldsumme in Relation zu ihren Einnahmen für den Profifußball ausgeben dürfen. Im kommenden Jahr dann werden erstmals die Bilanzen aller Vereine überprüft. Anfangs sind noch Defizite in Höhe von 45 Mio. Dollar innerhalb des zunächst zwei, später drei Spielzeiten umfassenden Berichtszeitraums erlaubt, ab 2015 sind es dann noch 30 Mio. Euro . Aller Voraussicht nach dürfte die Obergrenze danach weiter gesenkt werden.


Hintergrund ist die rasant gestiegene Verschuldung der europäischen Topklubs. Die über 700 europäischen Vereine haben mehr als 19 Mrd. Euro Schulden aufgehäuft. Allein die englische Premier League ist mit über 4 Mrd. Euro verschuldet. Real Madrid und der FC Barcelona stehen mit mehr als 450 Mio. beziehungsweise mehr als 200 Mio. Euro in der Kreide. Der FC Valencia sitzt auf einem Rekordschuldenberg von rund 500 Mio. Euro und ist damit höher verschuldet als die gesamte deutsche Bundesliga.


Besonders laut ist die Kritik an diesen Auswüchsen in Deutschland. Allen voran Karl-Heinz Rummenigge, Vorstandsvorsitzender der FC Bayern München AG, macht sich gegen die Macht der finanzkräftigen Investoren im Fußball stark, die ein solides Wirtschaften verhinderten. Andere deutsche Sportfunktionäre wie etwa der Geschäftsführer von Borussia Dortmund , Hans-Joachim Watzke, nehmen auch deutsche Vereine ins Visier. In der Kritik stehen Bayer 04 Leverkusen, der VfL Wolfsburg und 1899 Hoffenheim, denen vorgeworfen wird, mit Mitteln ihrer Geldgeber (Bayer AG, Volkswagen AG sowie der Hoffenheim-Mäzen Dietmar Hopp) unfaire Wettbewerbsvorteile zu haben.


Artenschutz für die Großen


Die zentrale Aussage der Financial-Fair-Play-Regelung lautet: "Nicht mehr für den Fußball ausgeben, als man durch den Fußball einnimmt." Verstöße sollen "knallhart sanktioniert" werden und im Extremfall sogar zum Ausschluss aus den Wettbewerben führen, heißt es in Funktionärskreisen. Dennoch gilt es als höchst unwahrscheinlich, dass hoch verschuldete Klubs wie Real Madrid, der FC Barcelona oder der FC Chelsea tatsächlich Gefahr laufen, aus der Champions League verbannt zu werden, würde hierdurch die Uefa doch ihr eigenes hochlukratives Produkt entwerten.


Zudem ist damit zu rechnen, dass die großen Vereine Heerscharen von Wirtschafts- und Rechtsexperten beschäftigen werden, um jedes noch so kleine Schlupfloch innerhalb der Regelung zu identifizieren. Beispiele hierfür gibt es schon jetzt: Im letzten Jahr verpflichtete der hoch verschuldete spanische Erstligaverein Real Saragossa den Torwart Roberto Jiménez von Benfica Lissabon für eine Ablöse von mehr als 8 Mio. Euro. Der Verein selbst zahlte jedoch nur rund ein Prozent der Summe, den Rest beglich ein Investmentfonds, der den Spieler dann in einer Art "Mietmodell" an Saragossa überstellte. Auch erscheint es möglich, Finanzspritzen als Sponsoring- oder Marketingverträge zu tarnen: Hauptsponsor von Manchester City ist die Fluggesellschaft Etihad aus Abu Dhabi, die von dem Halbbruder des Vereinseigentümers geführt wird. Etihad zahlt den "Citizens" im Rahmen eines Zehn-Jahres-Vertrags umgerechnet zirka 455 Mio. Euro für die Namensrechte am Stadion und den Schriftzug auf dem Mannschaftstrikot.


Um solche Modelle zu verhindern, will man künftig auf die Einhaltung marktüblicher Preise pochen. Wie "Marktüblichkeit" definiert werden soll, bleibt indes vage. Man kann davon ausgehen, dass sich ein neues Rattenrennen zwischen den finanzkräftigen Klubs und den Finanzkontrolleuren der Uefa entwickeln wird. Ein Großteil der wichtigen Entscheidungen dürfte künftig in Gerichtssälen und nicht mehr auf Fußballplätzen fallen.


Von der FFP-Regelung zu erwarten, dass sie finanzielle Ungleichheiten reduziert, ist unrealistisch. Tatsächlich dürfte das Gegenteil der Fall sein: FFP führt dazu, dass die großen Klubs zwar größere Anstrengungen vollziehen müssen, um an neues Geld zu kommen und entsprechend zu bilanzieren, und also vielleicht nicht mehr ganz so schnell noch reicher werden. Der entscheidende Punkt aber ist, dass die kleinen Klubs klein und außen vor bleiben. FFP reduziert vielleicht die Amplitude des zulässigen Reichtumsgefälles, zementiert es aber zugleich.


Zudem machen die Regelungen der eingebauten Schuldenbremse das System langfristig undurchlässiger: Der Aufstieg kleiner Vereine wird erschwert, da ein solcher Kraftakt ohne Investitionen, die die aktuellen Einnahmen übersteigen, kaum möglich ist. Die Chancen ins Trudeln geratener Traditionsvereine oder ambitionierter neuer Projekte wie RB Leipzig, sich schnell nach oben durchzuarbeiten, dürften so deutlich sinken.


Die Financial-Fair-Play-Regelung der Uefa hat eine dem Gedanken der Fairness zuwiderlaufende zutiefst elitäre Stoßrichtung. Dies wird von ihren Befürwortern sogar offen zum Ausdruck gebracht. In einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" äußerte sich Bayern-Chef Karl-Heinz Rummenigge im Januar 2011 zu den Folgen des FFP eindeutig: "Ein Aufstieg wie der von Manchester City wird künftig schwieriger. Aber will man die Manchester Citys dieser Welt fördern? Ich als Fußballfan will etwas anderes: Ich will Inter, Real, Barcelona, Bayern, Milan, Manchester United sehen. Weil das über viele Jahre hinweg die besten Klubs der Welt sind und Tradition haben."


Solche Aussagen verdeutlichen, worum es den Großen geht: den Aufstieg neuer Klubs zu verhindern und ihre Vorherrschaft zu sichern. Was also als Versuch präsentiert wird, von russischen Oligarchen oder Ölscheichs "künstlich" hochgezüchtete Vereine kleinzuhalten und die vermeintliche "Ursprünglichkeit des Fußballs" zu bewahren, ist in Wahrheit ein Instrument, um den bestehenden Klub der Großen gegen Newcomer abzuschotten.


Überrollt vom ängstlichen Zeitgeist


Das kontrollierende Eingreifen der Uefa in das wirtschaftliche Handeln der Vereine geht deutlich über das Lizensierungsverfahren der Deutschen Fußball Liga (DFL) hinaus. Es untersagt den Klubs nicht nur, bestimmte wirtschaftliche Risiken einzugehen, es legt zudem fest, woher die investierten Gelder zu kommen haben. Antriebskraft dieser Neuordnung des Profifußballs ist die Angst vor dem Untergang.


Dass es gegen die schweren Eingriffe in die unternehmerische Freiheit der Vereine kaum Einwände gab, ist nicht überraschend: Was nun auch für den Fußball als Maßgabe wirtschaftlichen Handelns gelten soll - die Risikovermeidung -, ist in großen Teilen des Wirtschaftslebens schon seit Längerem üblich. Die Angst vor Risiken und die damit verbundenen Forderungen nach strikter Kontrolle und Bestrafung derjenigen, die "unverantwortliche" Risiken einzugehen bereit sind, prägt sowohl die wirtschaftliche als auch die politische Kultur Europas.


Dass den Fußballunternehmen erteilte Verbot, wirtschaftliche und finanzielle Risiken einzugehen, ist mit den Regeln einer freien Marktwirtschaft nicht in Einklang zu bringen - und erst recht nicht mit einer sozialen Marktwirtschaft. Denn klammen Vereinen die Möglichkeit zu verwehren, große Investoren an Land zu ziehen, vergrößert die Gefahr, dass die Kosten ihres Niedergangs sozialisiert werden. Real Madrid mag mit mehreren Hundert Millionen Euro verschuldet sein; Insolvenz anmelden werden jedoch eher kleinere Vereine - es sei denn, Städte oder Länder springen ein und stützen die Fußballstandorte mit Steuergeldern.


Die ängstliche Kontrollwut, die im Fußball Einzug hält, macht deutlich, wie sehr man mittlerweile den Glauben an das Funktionieren des Fußballgeschäfts nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten verloren hat. Wenn aber die Zweifel am eigenen Systems so stark sind, dass man glaubt, Fußballmanager vor sich selbst schützen zu müssen, hat auch die seit Jahren erhobene Forderung, die Vereine müssten sich wie Unternehmen aufstellen, keinen Sinn. Der Fußball wird vom ängstlichen Zeitgeist überrollt. Wenn Unternehmen die Entscheidung darüber, welche Risiken sie einzugehen bereit sind, aus der Hand genommen wird, braucht man sich über Stagnation sowie über Mut- und Verantwortungslosigkeit künftig nicht mehr wundern.


Der Artikel ist am 14.9.2012 in der Printausgabe und auf der Website der "Financial Times Deutschland" erschienen.