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Matthias Heitmann  Klartext

Der Serengeti-Trick: ein realistisches Märchen

Es war einmal ein armes ostafrikanisches Land. Die rund 41 Millionen Einwohner sehnten sich nach Entwicklung und einem besseren Leben. Kein Wunder: Die Lebenserwartung der Männer dieses Landes lag bei 50 Jahren, die der Frauen bei 52 Jahren, die Säuglingssterblichkeit lag bei 75 von 1000 Geburten. Jedes Jahr starben 60.000 Menschen an den Folgen einer Malaria-Erkrankung. 6,2 Prozent der Erwachsenen waren mit dem HIV-Virus infiziert.


Die Infrastruktur des Landes war lediglich an der Ostküste leidlich entwickelt. In manchen Regionen mussten die Menschen sowohl auf ein funktionierendes Wasserleitungssystem als auch auf Elektrizität verzichten. Überhaupt waren die regionalen Unterschiede groß: Der Westen des Landes war im Vergleich zum ebenfalls nicht gerade reichen Osten stark unterentwickelt. In der Welt bekannt war das Land in erster Linie wegen seines Nationalparks, der Serengeti. Jedes Jahr kamen zahlreiche Touristen aus aller Herren Länder, um ihn zu besuchen. Für die Entwicklung des Landes reichte dies jedoch bei Weitem nicht aus.


Eines Tages beschloss der Herrscher des Landes, die Infrastruktur des Landes zu verbessern. Durch ein engeres Straßennetz, so meinte er, könne er insbesondere den extrem armen Westen des Landes besser anbinden. Allerdings fehlten ihm dafür die notwendigen Mittel. Auch von den Entwicklungsministern der anderen, insbesondere der reichen Länder war wenig zu holen. Diese, so hatte das Land über Jahrzehnte erfahren müssen, war mehr an den Naturschönheiten interessiert als am Schicksal der Menschen.


Da kam der Herrscher auf eine Idee: „Wie kann ich sicherstellen, dass ich vom reichen Ausland Unterstützung für mein Infrastrukturprojekt bekomme?“, fragte er sich. „Vielleicht, in dem ich androhe, die im Ausland so beliebten Naturschönheiten durch mein eigenes Infrastrukturprogramm zu zerstören? Das einzige, was ich dazu dafür tun muss, wäre, den Bau einer Autobahn mitten durch die Serengeti anzukündigen. Dann würden sich die reichen Umweltschützer der Welt schon bei mir melden und mir gleichzeitig finanzielle Mittel anbieten, wenn ich mich auf eine Veränderung meines Projektes einlasse.“


Gesagt, getan. Und die Reaktion kam prompt. Ein Aufschrei ging durch die Naturschützerwelt. Die Serengeti dürfe nicht sterben, schallte es aus den reichen Staaten. Und insbesondere in einem europäischen Land waren die Reaktionen enorm. Es war das Heimatland eines Tierarztes und Verhaltensforschers, der vor rund 50 Jahren einen Film namens „Die Serengeti darf nicht sterben“ über eben diese Landschaft gedreht und dafür sogar einen Oscar bekommen hatte. Ganz offensichtlich fühlte sich dieses europäische Land dem Erbe des Filmemachers besonders verpflichtet. Jedenfalls kündigte dessen Entwicklungsminister bald nach Bekanntwerden der Baupläne an, sein Land wolle Gelder bereitstellen, um die Serengeti vor der Autobahn zu schützen.


Als er das hörte, überlegte der Herrscher nicht lange. Er war am Ziel, denn er hatte herausgefunden, wie er Gelder zum Wohle der Menschen auftreiben konnte. Zwar war ihm klar, dass die Gelder aus dem reichen europäischen Land nicht deswegen fließen würden, weil man sich dort für die Menschen des ostafrikanischen Landes interessiert. Aber das war ihm letztlich egal. Und den Einwohnern des Landes auch.