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Matthias Heitmann  Klartext

Schweinegrippe durch Fortschrittsgeilheit?

Im Vorfeld der Anhörung des Europarates zur Schweinegrippe am 2.2.2010 mehrten sich kritische Pressestimmen zum Umgang der Weltgesundheitsorganisation WHO mit der Grippe, die über mehrere Monate Schlagzeilen machte, sich aber letztlich als weitgehend ungefährlich herausstellte. Auch die taz wollte in einem am 25.1.10 unter dem Titel „Ich habe kein Vertrauen mehr“ veröffentlichten Interview (taz.de) mit dem Gesundheitsexperten Wolfgang Wodarg der Frage nachgehen, „warum die WHO bezüglich der Schweinegrippe aus einer Mücke einen Elefanten gemacht“ hatte. Viel aufschlussreicher als die Antworten des SPD-Politikers, der dem Unterausschuss Gesundheit der parlamentarischen Versammlung des Europarates vorsteht, waren aber die Fragen der Interviewerin Katja Schmidt. „Gibt es überhaupt die Gefahr schwerer Grippepandemien?“ mag eine interessante Frage sein, allerdings eine, die sich gerade auch die Medien rechtzeitig, also während eines offensichtlichen Hypes, hätten stellen können – und auf die man auch sehr einfach hätte Antworten finden können. Schmidts weitere Frage an Wodarg, was Regierungen anfällig für den Grippe-Hype mache, ist ebenfalls spannend. Allerdings macht man es sich auch hier ein wenig leicht, denn: Das Phänomen öffentlicher Paniken ist nur zum Teil in der Sphäre der Politik verortet, unkritisch Ängste verbreitende und jegliche journalistische Distanz vermissen lassende Medien sitzen in demselben Boot und treiben es zusätzlich an. Anstatt im Nachhinein pseudokritische Fragen zu stellen in dem Versuch, sich selbst von den Angstaposteln abzugrenzen, stünde es den Medien besser zu Gesicht, sich auch einmal inmitten einer emotionalisierten Debatte die Zeit zu nehmen, einen kritischen Blick auf aktuelle Geschehnisse zu werfen. Wie weit wir davon entfernt sind, zeigt eine weitere Frage Schmidts: „Könnte es nicht sein, dass Regierungen zu anfällig für Wachstums- und Arbeitsplatzversprechen der Pharmaindustrie sind?“ Dass hier suggeriert wird, Paniken entstünden, weil Politiker sich an eine „Wachstumsideologie“ klammern, offenbart, wie stereotyp und fernab der Realität heute in „kritischen“ Kreisen nach Ursachen von Problemen gesucht wird. Apokalyptische Szenarien, z.B. bzgl. einer Grippewelle, als Folgeerscheinungen eines vermeintlich übersteigerten Fortschrittsstrebens der Politik umzudeuten, ist fast noch schlimmer, als auf diese hereinzufallen.