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Matthias Heitmann  Klartext

7 Jahre Anti-Terror-Krieg – gegen wen doch gleich?

Der Krieg gegen den Terror zerstört all jene freiheitlichen Errungenschaften, die es eigentlich zu verteidigen gilt.



Sieben Jahre sind seit den Anschlägen auf das World Trade Center vergangen – und noch immer ist unklar, wo der „Feind“ steht und wer er ist. Schon das geflügelte Wort vom „Krieg gegen den Terror“ zeugt davon, dass man offensichtlich die Dinge nicht beim Namen nennen kann, beschreibt doch „Terror“ lediglich eine Taktik, nicht aber den Feind selbst. Der bekannte Soziologe Frank Furedi beschrieb dieses Phänomen so, dass der Politik die Sprache fehle, um die Realität sinnvoll zu beschreiben.


Noch unübersichtlicher wird diese Realität durch das Phänomen des sogenannten „hausgemachten Terrorismus“: Immer wieder wird darüber berichtet, dass junge, verwestlichte Teenager mit Migrationshintergrund durch plötzliche Radikalisierung zu Feinden des eigenen Landes werden. Das gilt sowohl für die Selbstmordattentäter vom 7. Juli 2005 in London als auch für die Attentäter von Madrid. Auch bei den „Kofferbombern“, die Ende Juli 2006 funktionsuntüchtige Bomben in deutschen Zügen installierten, ging man davon aus, sie seien über das Internet radikalisiert worden. Dies stellt die konventionelle Darstellung des Krieges gegen den Terror infrage. Die Unterscheidung zwischen „denen“ und „uns“ verschwimmt. Darauf verweist auch der britische Terrorismus-Experte Bill Durodie. Er hält es für „produktiver, die Frage zu stellen, warum ein kleiner Teil asiatischer und anderer Jugendlicher in der westlichen Gesellschaft keinen Sinn finden und sich mit ihr nicht solidarisieren kann“.


Die Radikalisierung junger Muslime im Westen ist in erster Linie auf das Scheitern sozialer Institutionen und Formationen zurückzuführen, denen es immer weniger gelingt, die Gesellschaft zu kohärieren und Einwanderern eine sinnvolle Perspektive anzubieten. Das Gefühl der Isolation ist jedoch kein Problem, mit dem nur Einwanderer zu kämpfen haben. Wir alle spüren diese Teilnahmslosigkeit und ärgern uns über Passivität sowie über das wachsende Misstrauen vieler Mitmenschen. Innerhalb von Minderheiten, die sich nicht akzeptiert fühlen, wird dieses Misstrauen als noch feindseliger wahrgenommen. Ist es nicht vorstellbar, dass der moderne Terrorismus letztlich eine Folgeerscheinung derselben gesellschaftlichen Trends ist, unter denen auch wir zu leiden haben?


Wenn die Erosion westlicher Gesellschaften die Grundlage für das Entstehen abgekapselter und hasserfüllter Grüppchen bereitet, bedarf es keiner mächtigen Terrororganisation, um Angst und Schrecken zu verbreiten. „Al Qaida“ ist in den letzten Jahren zu einem Gütesiegel all derer geworden, die ihren Hass auf die westliche Welt öffentlich beweisen wollen. Diejenigen, die dazu neigen, die externe Bedrohung des Terrorismus zu übertreiben, schenken diesem Sachverhalt nur flüchtige Aufmerksamkeit. Wir brauchen weniger Anti-Terror-Rhetorik, sondern sollten den Inhalt und Sinn eines Lebensstils ausdrücken, den zu verteidigen wir für lohnenswert halten.


Doch anstatt Werte wie Freiheit und Rechtsstaatlichkeit zu betonen, werden sie dem Kampf gegen den Terror geopfert. Es ist zum Leitmotiv der Politik der Angst geworden, präventiv den Rechtsstaat einzumotten, um ihn vor den potenziellen Gefahren zu bewahren. Es greift zu kurz, Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble eine persönliche Lust am Kontrollieren zu unterstellen. Wie viele andere Politiker sieht auch er keine andere Möglichkeit, als durch die Beschneidung von Rechten und Freiheiten genau diese vor Beschädigungen zu schützen.


Eine Ursache für diesen offenkundigen Realitätsverlust ist, dass die Politik das Vertrauen in die eigene Gesellschaft sowie in ihre Werte und Rechtsnormen verloren hat. Der Staatsbürger wird als Quell allen Unheils betrachtet, während Zuziehende mithilfe von Fragebögen auf ihre Integrationsfähigkeit überprüft werden. Immer stärker sieht sich der verunsicherte Staat gezwungen, die selbst verursachte Erosion gesellschaftlicher Zusammenhänge durch eine zunehmende Regulierungswut zu flankieren, um nicht vollständig sein Sicherheitsgefühl zu verlieren.


Das größte Problem, mit dem wir es heute zu tun haben, ist nicht der Terror selbst, sondern die Art und Weise, wie sich unsere Gesellschaft selbst terrorisiert. Dieser Teufelskreis kann nur durchbrochen werden, wenn wir die allgegenwärtige Angst vor vermeintlichen Risiken überwinden, uns gegen das implantierte Misstrauen gegen alles Fremde wie auch gegen den eigenen Nachbarn – und letztlich auch gegen uns selbst – wehren und unsere Freiheitsrechte gegen die Politik der Angst verteidigen.



Dieser Artikel erscheint in der Zeitschrift YourCampus.tv.



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